Cora Waschke

LENA SCHRAMM · Toutes Directions

Das zentrale Werk der Ausstellung Toutes Directions (dt. alle Richtungen) von Lena Schramm ist ein alter weißer Mercedes-Kombi mit französischem Kennzeichen. Eine dazugehörige Inventarliste führt neben KfZ-Utensilien einen ganzen Hausstand auf: von Matratze und Fleischerhaken über Champagnerkühler, Sonnenbrille von Porsche und Nagellack Idealiste von Estée Lauder bis zur schwarzen Zahnbürste und schwarzgelacktem Eierkarton mit angetackerter Dior-Banderole.
Die Liste liest sich – um es mit den Worten der Schriftstellerin Annie Ernaux zur „Inventur“ ihrer Kindheit im französischem Arbeitermilieu auszudrücken – wie eine „Chronologie der Wünsche und Gefühle (Scham/Le honte, 1997)“. Bestimmte Produkte lassen sich individuellen und gesellschaftlichen Zeit-/Räumen zuordnen. Aber der Waren- und Markenfetischismus an sich bewegt sich durch alle Gruppierungen und in alle Richtungen.

In Lena Schramms Werk entstehen durch Verschiebungen rebellische oder humorvolle Irritationen fester Zuordnungen von High und Low. In den ausgestellten Malereien sind mit pastosen Pinselstrichen vor weißem Hintergrund Teile weißer Overalls für ‚Maler‘ mit Farbflecken und Aufnähern dargestellt: Logos von Marken aus dem Automobil- und Modebereich aber auch von der Künstlerin veränderte oder entworfene Embleme. Die Malereien unterschiedlicher Abstraktionsgrade weisen cremig-weiße Flächen gegenläufiger Strukturen auf, die an entsprechende Werkreihen von Robert Ryman – und an spießbürgerlichen Spachtelputz erinnern. Schramms Aneignung von Markenzeichen und Symbolen bewegt sich neben der künstlerischen Appropriation zwischen unbedarften Kinderbasteleien und einer anarchischen Geste des Punk. Der Ausstellungstitel steht insofern auch für eine Unterwanderung vorgegebener Wege. Und für die Art von Freiheit, die sich einstellt, wenn man in Frankreich immer wieder den Straßenschildern mit der Aufschrift „Toutes Directions“ folgt. 

Cora Waschke

Lena Schramm (*1979 in Berlin) lebte für einige Jahre in Südfrankreich bevor sie nach Deutschland zurückkehrte, wo sie Kunstgeschichte und Kunst in Hamburg studierte. Heute lebt und arbeitet die Künstlerin in Berlin. Neben zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland sind ihre Werke in mehreren Publikationen zu sehen, darunter im Künstlerbuch Ecstasy (2022). Darin werden lexikalisch Tausende von geprägten Tabletten dieser Droge und die gleichnamige Werkserie festgehalten, welche die Vereinnahmung von Markenlogos reflektiert.
Eigen + Art Lab Berlin
18/1 – 14/2/2024

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